Donnerstag, 16. August 2012

Interview II: Levin Kurio / Weissblech Comics III

Können zwei- bis zehnseitige Comics eigentlich gruselig sein? Unter die Haut gehen? Oder sind es doch nur bunte, sensationsheischende Bildchen? Wie spiegeln Comics ihre Zeit wieder? Wieso liest plötzlich jeder Graphic Novels, aber keiner mehr Comic-Heftchen? Und was ist eigentlich mit den ganzen Öko-Alternativos in Norddeutschland passiert?

Nach Teil I und Teil II geht es im Finale des Weissblech Interviews in die Materie. Das heißt ums Arrangieren von Bildern, das Erfinden von plausiblen Geschichten und – wie in jeder Branche – um das Fertigwerden mit der Konkurrenz.

Meine Freundin bekommt die Begeisterung mit, wenn wieder eine neues Ausgabe der Horrorschocker bei mir eintrifft. Sie sagt, die Geschichten sind garnicht so gruselig, sonder eher moralbeladen. Was soll ich erwidern?

Brauchst du eine lange argumentative oder eine kurze schnippische Antwort?

Lieber eine analytische Antwort. Man kann natürlich sagen, dass das moderne Horrorgenre ohnehin ein konservative Sichtweise pflegt, in der sich Kulturpessimismus zu einer furchterregenden Fratze formt: Wissenschaft führt zu atomverseuchten Mutanten oder Zombies, vorehelicher Sex und Auflösung der traditionellen Familienstrukturen führen zu Serienkillern. Daher ist es auch immer moralbeladen.

Mist, ich hatte auf die kurze, schnippische Antwort gehofft, denn so tiefschürfende Gedanken über das in meinen Comics wahrscheinlich hervorquellende Unterbewußte wollte ich mir eigentlich nicht machen.

Es gibt da zwei Ansätze, wie ich Dir antworten kann:

Der erste ist der, dass deine Freundin die Sache mit der Moral vielleicht etwas überbewertet. Ich schreibe die Geschichten nicht in der Absicht, moralisch oder belehrend zu sein. Im Gegenteil. Ich achte sogar darauf, dass es eben nicht so ist, aber sicher schleicht sich im Interesse einer sinnvoll erzählten Geschichte auch das eine oder andere Stück Moral ein. Wäre das nicht so, würden die Geschichten schnell zu blanker Exploitation.

Der Zweite wäre der Ansatz mit der furchterregenden Fratze und dem Kulturpessimismus; die klassischen Horrorcomics (und damit meine ich NICHT die Gespenster Geschichten die früher im Bastei-Verlag erschienen, sondern die alten US-Sachen) sind oft sehr moralisch, teilweise auf eine sehr tumbe Art, aber dabei selten gesellschaftsbejahend. Tatsächlich war das auch ein Vorwurf, der sogar EC gemacht wurde. Sie waren das pessimistische Gegenstück zum Mainstreamoptimismus der 1950er. In ihnen rumorte das, was die US-Gesellschaft dieser Zeit verdrängen wollte: die Traumata des Krieges, die berühmte Atomkriegsparanoia, die Verwerfungen, welche durch die neuen Familienstrukturen enstanden. Das geschah meines Erachtens nicht immer bewußt, sondern war eher ein Zufallsprodukt.

Vielleicht ist es bei den Geschichten in Horrorschocker ähnlich: In ihnen steckt wie in den meisten Kulturprodukten auch immer viel von ihren Schöpfern, und ihren Wertvorstellungen. Auffällig wird das immer dann, wenn der Rezipient einen anderen Standpunkt vertritt und sich daran stösst.

Die relativ kurzen Geschichten müssen ja auch zu einem pointierten Abschluss gebracht werden. Wie entwickelst du einen Plot? Fängst du bei der Anfangsszene an oder hinten? Gibt es bestimmte Bilder, die du auf jeden Fall in die Geschichte einbringen willst?

Das ist unterschiedlich. Am Anfang steht eine Idee, ein Setting, ein Bild, irgendwas, dass die Grundlage der Geschichte bildet. Wenn es sehr gut läuft, wache ich morgens mit einer perfekten Idee auf, grüble ein bisschen an der Handlung herum, skizziere die Dialoge und die Bilder und abends steht die komplette Geschichte und muss „nur“ noch gezeichnet werden.

In der Regel ist es aber leider so, dass die Geschichten in einem recht langwierigen und arbeitsintensiven Prozess entstehen. Ich vermeide es, von Anfang an bestimmte Bilder drin haben zu wollen, da die Schreiberei dadurch furchtbar zäh werden kann. Ich hatte da Fälle, in denen die Titelseite schon vor der Titelgeschichte fertig war, und ich musste die Titelgeschichte quasi um das Titelbild herumschreiben. Das war grässlich. Ich habe an dem Text für diese eine Geschichte sechs Wochen gesessen.

Normalerweise geht es aber schneller. Manchmal liefert auch ein Zeichner einen Plot oder eine schon recht ausgearbeitete Geschichte, an denen ich dann nur noch die Dialoge etwas schleife.

Eine Geschichte die ich sehr schätze, ist „Abseits des Weges“ in Horrorschocker # 26, das ich eh für ein besonders gelungenes Heft halte. Der Plot von „Abseits des Weges“ ist ja relativ lapidar: Ein namenloses Paar bleibt zwischen überschwemmten Wiesen und Birkenwäldchen mit dem Auto stecken. Obdach, aber keine weitere Hilfe (nicht mal etwas zu essen) finden der langhaarige Brillenträger und seine blonde Begleitung bei einem merkwürdigen Bewohnern eines vermoderten, abgelegenen Hauses. Dort war mal eine Kommune. 1983 – so erzählen die Gastgeber – blieb der Mitbewohner Ingo auf einem LSD-Trip hängen. Hinter einer verschlossenen Tür schallt nur ab und zu sein furchterregendes, verrücktes Lachen auf. Dann bricht die Nacht herein …

Abseits des Weges Weissblech Comics

Gerade bei der Geschichte fällt mir auf wie gut eine sorgfältige Seitenplanung wirkt. Bei jedem Umblättern nimmt die mit gerade mal zehn Seiten schon überdurchschnittlich lange Geschichte eine neue Wendung. Man gruselt sich nicht, aber einige Bilder werden verstörender, je länger man sie betrachtet. Doch auch hier – soviel darf man wohl verraten – wird nicht unbedingt mit großen Neuerungen des Gruselcomics oder der Horrorschocker an sich aufgewartet.

Wie ist konkret diese Geschichte entstanden?

Interessant, dass du ausgerechnet diese Geschichte erwähnst. Die Handlung an sich ist ja ein recht simpler, klassischer Plot, aber das Drumherum schöpft aus einer Reihe persönlicher Erlebnisse.

Die Landschaft und das Haus gab es so tatsächlich, auch wenn das Haus meines Wissens inzwischen abgebrannt ist. Auch die Kommune hat es in den Achtziger gegeben. Meine Eltern und ich haben sie einige Male besucht. Dieses Haus war eine Försterkate aus dem 19. Jahrhundert, wenn nicht noch älter, komplett mit knarrenden Dielen und allem was dazu gehört. Es lag völlig einsam in besagtem Moor und war nur über eine uralte Holzbrücke zu erreichen, in der mannsgroße Löcher klafften. Drumherum lagen zerfallende Moorkähne mit denen man früher den Torf transportiert hatte …
Warum nehmen dich deine Eltern mit in eine Kommune? Waren die auch Hippies?

Hippies nannte sich da keiner, das waren alles „Freaks“. Meine Eltern sind da schwer einzuordnen. Sie waren nicht die klassischen Studenten, die ’68 zu rebellieren anfingen. Die haben schon weit vorher Ärger gehabt.

Okay, zurück zur Geschichte …

Ich wurde damals zumindest eindringlich gewarnt, das Grundstück zu verlassen, denn weiter draussen gäbe es Moorlöcher. Das sind aufgegebene Torfstiche, oft mehrere Meter tief, die sich im Laufe der Zeit mit Wasser gefüllt haben. Oben auf dem Wasser schwimmen Torfreste, auf denen wächst Gras und das macht diese Löcher unsichtbar. Kurzum: die perfekte Todesfalle. Als damals Neunjähriger habe ich mich jedenfalls scheiss-gegruselt vor diesem Ort.

Dann hat auch noch einer von den Bewohnern erzählt, er hätte in der Hütte einen Geist gesehen. Dieser Mann war später den harten Drogen nicht abhold und lebt auch längst nicht mehr. Auf ihm und den Anderen dort basieren die Figuren in „Abseits des Weges“.

Das alles zusammengenommen brachte mich auf die Idee zu der Geschichte. Ich dachte darüber nach, wie es wohl wäre, wenn ich heute diesen Ort aufsuchen würde, und wie sich die Geschichte einer solchen Kommune wohl abgespielt hätte und was heute davon übrig wäre. Eine deutsche Backwoods-Geschichte sozusagen. Das effektive Erzählen, der Aufbau der Wendungen etc. gehört dann letztlich nur noch zum Handwerk.
„Abseits des Weges“ liest sich ja auch als Abgesang auf die ganze Alternativ-Bewegung, die Mitte der 1980er in der norddeutschen Provinz recht präsent und stark war, aber Mitte / Ende der 1990er total abschlaffte. Wie sah es da in Schlewsig Holstein aus? In meiner Heimat Aurich (Ostfriesland) war das ein schleichender Tod.

Ich habe das damals nicht bewußt beobachtet, aber im Nachhinein scheint es so zu sein. Die meisten waren Anfang der Neunziger entweder endgültig an Drogen zugrunde gegangen oder hatten sich neu orientiert, haben Familien gegründet oder sind ausgewandert. Jene, die (um es mit Manowar zu sagen) wirklich „true“ waren, gibt es auch heute noch, aber die sind inzwischen über 60 und treten nicht mehr so in Erscheinung.

Mein Gedanke hinter der Geschichte war ja auch: Wie würde es aussehen, wenn ein paar von denen einfach immer so weitergemacht hätte.

Immer wieder hört man aus dem Hause Weissblech ein zartes Spötteln über den Siegeszug der Graphic Novels. Mit deinen Heften bist du ja definitiv auf der anderen Seite des Spektrums. Ist das Spötteln ein Verdruss am Modebegriff oder hast du tatsächlich etwas gegen das ausführliche Erzählen mit Bildergeschichten?

Das Spötteln resultiert eher aus Verdruss über den Modebegriff und das Marketing, dass alle anderen Comics als geistlosen Schrott für Deppen abtut, um es mal überspitzt zu formulieren. Dass „Der Verleger“ (der ja eine Karikatur des gewissenlosen Schundverlegers ist, der auf jeden Zug aufspringt, von dem er sich was erhofft) plötzlich auch Graphic Novels machen will, soll zeigen, was los ist: Letztendlich sind auch sie ein auf eine Zielgruppe hin produziertes Genreprodukt. Die Zielgruppe sieht das natürlich anders.

Gegen das ausführliche Erzählen habe ich übrigens nichts.

Weissblech Comics Graphic Novels

Welche Comics haben dich zuletzt vom Hocker gehauen?

So richtig vom Hocker gehauen … hmm … ich habe in letzter Zeit stapelweise gelesen und mit Einigem habe ich mich hervorragend amüsiert. Da wären aus deutscher Produktion western touch von Robin Vehrs, aber die Sachen kannte ich schon vorher aus dem Internet, dann die Tumba-Bände von Geier und Hagenow. Ansonsten beschäftige ich mich vor allem mit altem Kram, ich erfreue mich gerade an einem Nachdruckband mit den allerersten 12 Marvelcomics aus den 30er/40er Jahren, aber die Betonung liegt auf „erfreuen“, wirklich lesbar ist das nicht.

Noch ein paar Kurze zum Schluss:

Valerian und Veronique oder Yoko Tsuno?

Valerian und Veronique. Ist eine der wenigen frankobelgischen Albenserien, von der ich mehr als einen Band besitze.

Tim und Struppi oder Theodor Pussel?

Theodor Pussel! Von dem hatte ich zumindest mal ein Heft.

Shining oder Halloween?

Shining

Snickers oder Snickers-Eis oder ein Apfel?

Apfel!

Wann ist Feierabend?

Meistens recht spät.

Was geht nach Feierabend?

Im Moment vornehmlich Glotze und Konsole. Je nach Laune auch Bücher und was sonst noch so anfällt.

Aufstehen oder Schlafenlegen?

Schlafenlegen.

Danke für das Interview, Levin

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