Dienstag, 19. November 2013

DIE REPUBLIK – Nummer 55-60 / 3. Juni 1982

Die Republik Nummer 55 60 3. Juni 1982

„Ich sage euch – egal was ihr da in euren stillen Redaktionsstuben und Köpfen euch überlegt, alles Scheiße. So.“

Jörg Schröder zu Gaston Salvadore, dem ehemaligen Poster-Boy der deutschen Studentenbewegung. Typisches Problem: Das Geld für einen Artikel lässt auf sich warten.

Was?

Stefan Ripplinger bezeichnete Die Republik einst als „Meteroit, in Brillanz, Furor und Kompromisslosigkeit“. Andere waren kritischer. Sie sahen in dem Magazin die „Kohlhaasiade eines Selfmade-Märtyrers der Publizistik“ (Wilhelm Bittorf im Spiegel), die aus wenig mehr bestand als aus „denunziatorischen Zitat-Sammlungen und Polemiken oft begleitet vom Dünkel der Häme und der Besserwisserei, dem ein schadenfrohes Publikum von Insidern leichthin applaudieren konnte“ (Wolfram Schütte auf Titelmagazin.com).

Herzlich egal waren solche Attribute dem Herausgeber dieser Zeitschrift, Uwe Nettelbeck. Anfang der 1960er Jahre war er Filmkritiker und Gerichtsreporter für Die Zeit und Rezensent für die Filmkritik. Er galt als Wunderkind des deutschen Journalismus. Dann entrückte er sich von der Medienwelt. Folgend produzierte er zwischen 1971 und 1973 die ersten vier Alben der Krautrockband Faust. Ende des Jahrzehnts zog er mit seiner Frau, einer querschnittsgelähmten Fernsehansagerin, zuerst in die Lüneburger Heide und nach der deutschen Wiedervereinigung nach Bordeaux.

Rezensent und Reporter blieb Nettelbeck trotzdem. Mit seinem eigenen Vehikel, das stark von Karl Kraus Fackel inspiriert war (und nie an das Original heranreiche  – darin sind sich die Kritiker einig). Die Republik war eine Kommentierung der Massenmedien und des Kulturbetriebs von weit jenseits davon.

Turnus & Persistenz

Die erste Ausgabe erschien erstmalig am 8. September 1976 und überlebte Nettelbeck um genau ein Jahr: Auf den 17. Januar 2008 ist die letzte Ausgabe datiert. Trotz des unregelmäßigen Turnus wurde das Erscheinungsdatum der Bände stets auf dem Tag genau angegeben. Der Turnus und die Nummerierung der einzelnen Bände sind etwas undurchsichtig. Jedes Heft, so das Impressum, „erscheint unregelmäßig, mit zwei bis drei Bänden im Jahr, die zusammen in der Regel zwölf Nummern enthalten. Umfang einer Nummer: 64 Seiten.“ Wieviele Bände jetzt genau erschienen sind, kann aufgrund der dünnen Informationslage im Internet 2013 nicht genau nachvollzogen werden, denn manchmal enthielt ein Band nur eine Nummer und manchmal – wie bei der hier besprochenen Ausgabe – auch sechs Nummern.

Auflage

Erste Auflage kam in 5.000 Kopien. Ob es eine zweite Auflage gab oder ob das besonders hoch oder niedrig für diese Zeitschrift ist, weiß ich nicht. Kenner sprechen gemeinhin von einer Liebhaberzeitschrift, was auch ein freundlicher Begriff für Fanzine ist. Doch das ist im Grunde egal. Die Republik – obwohl es im ersten der drei Artikel dieser Ausgabe um wenig mehr geht als um Geld und Vertragsrechte bezüglich der Republik – war die Zeitschrift keine Geschäftsidee, sondern eine Mission. Nettelbeck hatte außerdem ein Erbe zu verprassen, wie man munkelt.

Preis

Anno 1982 kostete die Republik 4,- DM, im Abonnement 3,- DM.

Inhalt

Alle paar Monate – sofern man regelmäßiger oder gar professioneller Leser ist – sollte man von der Weltliteratur und den Sachbüchern weg und sich was einfaches gönnen; also einen Schwedenkrimi oder den neuen Schmuh von Heinz Strunk … oder Jörg Schröders ‚Cosmic‘. Vom Textumfang so umfangreich wie ein Roman, erschien ‚Cosmic‘ nach dem Erstabdruck in der Republik später auch als Buch und zwar in Schröders März Verlag.

Worum geht es? Schröder hat der TRANSATLANTIK den Artikel ‚Die Eingeweide der SPD – Erzählungen von der oberhessischen Basis‘ verkauft, in dem er seine Erfahrung mit den Genossen im Vogelsberg zusammenfasst. Bei Erscheinen des Textes liegen die von ihm geschilderten Erlebnisse bereits Jahre zurück. Einige Absätze beschäftigen sich mit scheinbar illegal stationierten und als Wasserwerke getarnten Depots für Atomwaffemunition die im Grenzgebiet zur DDR lagern, was aber von einem höchst dubiosen Parteigenossen auch nur so hingemurmelt wird. Die taz greift aber genau diese Absätze auf, woraufhin der hessische Landesverband vom Bund für Umwelt- und Naturschutz einen offenen Brief an den hessischen Ministerpräsident schreibt. Das löst eine mediale Kettenreaktion aus und plötzlich sieht sich Schröder inmitten der Wirren einer Auseinandersetzung um einen von ihm ausgelösten Skandal um diese Depots von denen man bis zum Schluss nicht so genau weiß, ob sie exisitieren oder überhaupt existiert haben.

Natürlich ist dieser dokumentarische Text, der aus Gesprächen an drei Wochenenden im Jahr 1981 transkribiert wurde, inzwischen ein Zeitdokument und zwar eines, das von zahllosen weiteren Zeitdokumenten, Artikeln aus der FAZ, dem stern, dem Spiegel, der taz etc., durchsetzt ist. Was man da liest, zum Beispiel von Seite 332 bis Seite 336 wenn Schröder erzählt wie er mit den Teilnehmern der Aktionskonferenz ‚Ökologie und Frieden‘ vom 6.-8. November 1981 in Lauterbach/Vogelsberg von einem BBC-Fernsehteam begleitet zu einer Raketenabschussrampe der US-Streitkräfte nach Kleinlüder fährt und sich einer der „Grünspechte“ nicht zu schade ist mal am Tor zu rütteln woraufhin sich der kleine Ausflug zu einer Spontandemo für El Salvador entwickelt, überragt in der Darstellung der Phrasendrescherei und der schrecklichen Selbstgewissheit der Alternativbewegung der 1980er Jahre Richard David Prechts Kind-linker-Eltern-Leidensgeschichte ‚Lenin kam nur bis Lüdenscheid‘ um mindestens einen Atommeiler. Der ganze Text ist in einem lockeren Labermodus gehalten, nach dem man regelrecht süchtig wird. Wie gesagt: Als, zeitgeschichtliches Dokument brauchbar, als Realsatire bestürzend und als Lektüre höchstvergnüglich.

Gewissermaßen umrankt wird dieses Epos von zwei weiteren Schriftstücken, die sich genau wie ‚Cosmic‘ jeglicher Textgattung entziehen.

Als Einstieg ist da eine Sammlung von Korrespondenzen, die den schlichten Titel ‚Notizen‘ trägt. Sie protokollieren die Auseinandersetzung zwischen Uwe und Petra Nettelbeck und Lutz Reinicke, der mit seinem Verlag Zweitausendeins für den Vertrieb der Republik zuständig war. Zweitausendeins will endlich eine neue Ausgabe sehen, um bei den ganzen Vorschüssen auch mal Einnahmen zu verbuchen. Nettelbeck will hingegen nicht, dass Texte aus der Republik in anderen Zweitausendeins-Titeln verbraten werden. Er kündigt seinerseits den Vertrag. Es folgt eine Kaskade von Anwaltsbriefen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Republik 55-60 steht eine Summe von 2 Millionen D-Mark (West) im Raum. Eine Einigung ist nicht absehbar.

Der andere Text ist ein Transkript der von 1971 bis 1986 ausgestrahlten Fernsehsendung Dalli-Dalli. Was sich da auf gut 50 Seiten erstreckt ist quasi unlesbar, vermittelt aber, wie wenig gut Fernsehunterhaltung in Literatur geformt werden kann.

Haptik

Die Republik wurde im Hause Franz Grono gedruckt und das merkt man. Der hat sich einige Jahre später für die Produktion der Anderen Bibliothek verantwortlich gezeigt. Doch schon bevor er gemeinsam mit Hans Magnus Enzensberger die bibliophilen Monatsbände produzierte, hat Greno schon ordentlich gearbeitet: Schöner Bleisatz und eine Typographie, die der von Sinn Und Form nicht ganz unähnlich ist. Oben sind die Seitenränder rot eingefärbt

Verdikt

Buchhändler, die schon in den 1980er Jahren diesen Beruf ergriffen haben, können erzählen was für eine Verehrung der Republik von einer kleinen, verschworenen Lesergemeinde, jenem „schadenfrohen Publikum von Insidern“, widerfuhr. Ob diese Publikation nun einen wirtschaftlichen Mehrwert generierte (wie man es bei Zweitausendeins gerne gehabt hätte) oder ob Nettelbeck wirklich nur sein Erbe verheizte, bleibt unklar (das Erscheinen dieser Ausgabe wurde übrigens von dem Münchener Musiklabel ECM unterstützt).Allein für ‚Cosmic‘ lohnt die Anschaffung. Aber auch sonst gibt es für die Bewertung dieses Meta-Magazins, dieser Ego-Zeitschrift, dieses Schlachthofs von Sub-Feuilleton namens Republik nur ein mögliches Wort: vorbildlich!

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